OLG Frankfurt a.M.: Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Corona-Schutzimpfung auf den der Empfehlung der STIKO vertrauenden Elternteil bei impfbereitem 16jährigen
Auch bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit in eine Corona-Schutzimpfung bei einem fast 16-jährigen Kind bedarf es eines Co-Konsenses mit den sorgeberechtigten Eltern. Können diese sich in dieser Frage nicht einigen, ist die Entscheidung über die Durchführung der Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff auf denjenigen Elternteil zu übertragen, der die Impfung befürwortet, wenn eine Empfehlung der Impfung durch die STIKO vorliegt und wenn auch das Kind die Impfung will.
Wer trägt die Entscheidungsbefugnis bei Schutzimpfungen und Uneinigket der Eltern?
Nico ist fast 16 Jahre alt, seine Eltern sind geschieden
und üben gemeinsam die elterliche Sorge aus. Der Junge ist adipös, leidet also unter einer Vorerkrankung, die eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung gegen das Corona Virus mit einem mRNA-Impfstoff vorsieht. Nico selbst und auch sein Vater befürworten eine Impfung, die Mutter ist jedoch dagegen. Sie bezeichnet die Impfung als „Gentherapie“. Eine Impfung sei auch deswegen nicht erforderlich, weil in der Gesellschaft Ende Juli 2021 bereits annähernd eine Herdenimmunität eingetreten sei. Die Impfung mit einem mRNA-Impfstoff führe im Übrigen zu mehr Todesfällen, als eine Erkrankung an SARS-CoV-2. Des Weiteren sei Nico weder hinreichend vom Kindesvater noch von seiner Hausärztin umfassend über die Risiken der „Gentherapie“ aufgeklärt worden. Es bestehe die Gefahr, dass die „Gentherapie“ zu einer Reprogrammierung der Immunantwort des eigenen Körpers führe sowie zu einer Überreaktion des Körpers, falls er mit einem Virus in Kontakt komme. Weiterhin bestehe die Gefahr, dass die Impfung zu einer Unfruchtbarkeit führe oder aber Blutgerinnsel verursachen könne. All diese Fragen sollten nach Einschätzung der Kindesmutter durch Einholung von Sachverständigengutachten aufzuklären sein.
Nicos Vater stellte dagegen beim Familiengericht den Antrag,
ihm im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig die alleinige Befugnis zur Entscheidung über die Impfung des Sohnes zu übertragen. Er hat zu seinem Antrag eine ärztliche Bescheinigung der Hausärztin beigefügt, nach der bei Nico eine eindeutige medizinische Indikation für eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff bestehe, um einen schwerwiegenden Verlauf einer COVID-Erkrankung aufgrund der Adipositas zu vermeiden. Des Weiteren sei Nico selbst voll entscheidungsfähig und könne die Tragweite einer solchen Erkrankung überblicken. Er wünsche ausdrücklich, geimpft zu werden.
Das Gericht hat dem Antrag von Nicos Vater entsprochen und der Junge hat die erste Impfung bereits erhalten.
Seine Mutter legte Beschwerde beim Oberlandesgericht ein, hatte damit aber keinen Erfolg. Die Entscheidungskompetenz sei dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.
Das Oberlandesgericht entschied,
dass die Entscheidungsbefugnis demjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) befürworte, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorlägen. Das ist bei Nico der Fall. Bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung des Familiengerichts habe eine Empfehlung der STIKO für eine COVID-19 Impfung als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19 Erkrankung bestanden. Auch das traf hier zu, denn Nico leidet an Adipositas.
Nach dem Gesetz müsse auch der Kindeswille beachtet werden, führt das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung aus. Dies gelte jedenfalls dann, wenn das Kind sich im Hinblick auf sein Alter und seine Entwicklung auch eine eigenständige Meinung zum Gegenstand des Sorgerechtsstreits bilden könne. Es stehe außer Frage, dass der fast 16-Jährige aufgrund seines Alters und seiner Entwicklung im Stande sei, sich eine eigene Meinung über den Nutzen und die Risiken der Corona-Schutzimpfung zu bilden. In dieser Hinsicht sah das Gericht eine bessere Entscheidungskompetenz bei Nicos Vater. Denn Teil der elterlichen Sorge sei auch, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Az 6 UF 120/21, Beschluss vom 17.8.2021, OLG-Pressemitteilung
Ihr Ansprechpartner für dieses Thema:
Rechtsanwältin
Inge Saathoff
Fachanwältin für Familienrecht
Rechtsanwalt
Burkhard Bühre
Fachanwalt für Familienrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht
Neueste Kommentare