Eine Arbeitnehmerin war seit dem 1. Dezember 2007 als Sekretärin an einer Grundschule in Niedersachsen angestellt.
In einem Gespräch zu Beginn des Schuljahres 2022/2023 informierte die Schulleitung sie darüber, dass ihr zu Beginn der Sommerferien, am 6. Juli 2023, sowie an den folgenden Tagen kein Urlaub gewährt werden könne. Trotzdem bestand die Arbeitnehmerin weiterhin darauf, am 6. Juli 2023 frei zu bekommen, was die Arbeitgeberin erneut ablehnte. Am 5. Juli 2023 teilte die Sekretärin der Schulleitung telefonisch mit, dass es ihr gesundheitlich nicht gut gehe und sie an einer Magen-Darm-Grippe leide. Für den Zeitraum vom 5. bis 7. Juli 2023 reichte sie daraufhin eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein, die eine Krankschreibung ab dem 5. Juli bestätigte.Im Personalgespräch: Krankmeldung noch abgelehntem Urlaubsgesuch
Kündigung: Verdacht auf vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit
Am 6. Juli 2023 nahm die Arbeitnehmerin an einem Trainerlizenz-Lehrgang in der Landesturnschule Melle teil, was nicht unbemerkt blieb. Daraufhin erhielt sie am 7. Juli 2023 von ihrer Arbeitgeberin eine Anhörung wegen des Verdachts auf vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit. Die Arbeitnehmerin erklärte, sie habe am 5. Juli 2023 unter starken Bauchschmerzen, Übelkeit, Halsschmerzen und Kopfschmerzen gelitten. Ihre Ärztin habe sie für drei Tage krankgeschrieben, und nach Einnahme der Medikamente sei ihr Zustand schnell besser geworden. Sie vermutete, dass die Beschwerden teilweise psychosomatischer Natur waren. Am 6. Juli habe sie sich wieder fit gefühlt und entschieden, den Lehrgang in Melle zu besuchen.
Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos, sowohl als Tat- als auch vorsorglich als Verdachtskündigung. Sie ging davon aus, dass die Arbeitnehmerin nicht tatsächlich arbeitsunfähig war und der Verdacht auf vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit bestand.
Die Arbeitnehmerin erhob Kündigungsschutzklage, da sie die Kündigung für unwirksam hielt. Sie argumentierte, dass sie sich am 6. Juli trotz der Erkrankung ausreichend erholt gefühlt habe, um an der Schulung teilzunehmen. Sie sei in psychotherapeutischer Behandlung, und es sei bei ihrer Erkrankung nicht ratsam, sich zu isolieren. Außerdem hielt sie die außerordentliche Kündigung für unverhältnismäßig.
Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert
Das Arbeitsgericht Osnabrück wies die Klage der Arbeitnehmerin ab. Es begründete dies damit, dass ein dringender, auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht bestand, dass die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht habe. Weder in der Anhörung noch im Gerichtsverfahren habe sie konkrete Umstände dargelegt, die ein anderes Bild hätten ergeben können. Ein bloßer Verweis auf die ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reiche nicht aus. Vielmehr hätte sie detailliert erklären müssen, welche gesundheitlichen Beschwerden konkret vorlagen, welche Einschränkungen sie hatte, welche ärztlichen Anweisungen ihr gegeben wurden und welche Medikamente dazu führten, dass sie zwar nicht arbeiten, aber am Trainerlehrgang teilnehmen konnte. Eine vorherige Abmahnung war nach Auffassung des Gerichts nicht erforderlich.
In der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen unterlag die Arbeitnehmerin ebenfalls. Das LAG bestätigte die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung.
Trainer-Lehrgang während Krankschreibung kann Kündigungsgrund sein.
Darlegungspflicht des Arbeitnehmers bei erschütterter Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen stellte fest, dass die Behauptung der Arbeitgeberin, die Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht gewesen, als zugestanden galt, da die Arbeitnehmerin ihrer sekundären Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen ist.
Zwar verschiebt sich die Beweislast nicht, weil es um den Nachweis einer negativen Tatsache geht, doch der Arbeitnehmer muss bei einem Verdacht auf vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit mehr als nur pauschal auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verweisen. Er ist verpflichtet, konkrete Umstände darzulegen, die die Arbeitsunfähigkeit untermauern, z.B. welche Symptome vorlagen, welche Behandlungsmaßnahmen die Ärztin empfahl und warum die Teilnahme an einem Trainerlehrgang trotz Krankschreibung möglich war.
Vom Arbeitgeber kann nicht verlangt werden, nachzuweisen, dass keine Erkrankung vorlag. Es ist jedoch die Aufgabe des Arbeitnehmers, detailliert darzulegen, welche konkreten Symptome ihn davon abhielten zu arbeiten und warum er davon ausging, dass er am Tag der gewünschten Freistellung weiterhin arbeitsunfähig wäre. Nur wenn der Arbeitnehmer seiner Darlegungspflicht nachkommt und gegebenenfalls behandelnde Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, ist der Arbeitgeber gehalten, den Sachverhalt zu widerlegen.
In diesem Fall hat die Arbeitnehmerin ihre Darlegungspflicht nicht erfüllt. Zwar ist eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein wichtiges Beweismittel, jedoch kann der Arbeitgeber ihren Beweiswert erschüttern, wenn er stichhaltige Umstände vorträgt, die Zweifel an der Echtheit der Erkrankung begründen.
Gericht sieht begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit
Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ergaben sich hier, da die Bescheinigung für den Zeitraum ausgestellt wurde, in dem die Arbeitnehmerin zuvor vergeblich Urlaub beantragt hatte. Diese zeitliche Nähe weckte erste Zweifel.
Diese Zweifel wurden verstärkt, als die Arbeitnehmerin am 6. Juli 2023 an einem Lehrgang bei der Landesturnschule Melle teilnahm. Zwar bedeutet die Teilnahme an einem Lehrgang nicht automatisch, dass keine Arbeitsunfähigkeit vorliegt, doch hätte die Arbeitnehmerin näher erläutern müssen, warum sie trotz Krankheit teilnehmen konnte. Dies tat sie jedoch nicht ausreichend.
Hinzu kam, dass die Arbeitnehmerin sich offenbar vorab für den Lehrgang angemeldet hatte und trotz der verweigerten Urlaubsgewährung nicht absagte. Sie machte auch keine Angaben dazu, wann sie sich für den Lehrgang angemeldet hatte, obwohl sie dazu im Verfahren ausdrücklich aufgefordert wurde.
Außerordentliche Kündigung somit gerechtfertigt
Da die Arbeitnehmerin ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen ist, sah das LAG keinen hinreichenden Nachweis für eine tatsächliche Erkrankung. Nach Auffassung des Gerichts war die vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit, auch nach einer umfassenden Interessenabwägung, ausreichend, um die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Eine vorherige Abmahnung war aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung nicht erforderlich.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 8. Juli 2024, Az. 15 SLa 127/24
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