Keine leitende Angestellte trotz Personalhoheit: Hessisches LAG konkretisiert die Anforderungen zum Beschluss vom 09.12.24

von | 4. Juli 2025 | Arbeitsrecht

Eine kurze Zusammenfassung

Die Entscheidung des Hessischen LAG vom 09.12.2024 ist jetzt beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 7 ABR 9/25 anhängig . Es geht um die Frage, ob es sich um einen leitenden Angestellten handelt. Für leitende Angestellte gilt das Betriebsverfassungsgesetz und das Arbeitszeitgesetz nicht. Im Kündigungsbereich gilt für leitende Angestellte Folgendes: Grundsätzlich gilt auch bei leitenden Angestellten das Kündigungsschutzgesetz. Der Arbeitgeber kann also nur kündigen, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 KSchG, d.h. verhaltensbedingte, personenbedingte oder aber betriebsbedingte Kündigung die Kündigung rechtfertigen.

Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass bei einer Kündigungsschutzklage der Arbeitgeber jederzeit ohne weitere Begründung vom Gericht verlangen kann, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer vom Gericht festzusetzenden Abfindung aufzulösen. Über diesen sogenannte Auflösungsantrag, § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG muss dann vom Gericht entschieden werden. Der Arbeitgeber zahlt dann zwar die vom Gericht festzusetzende Abfindung, das Arbeitsverhältnis ist aber beendet.

Vor diesem Hintergrund ist also der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess sehr daran interessiert, kein leitender Angestellter zu sein. Geregelt ist der leitende Angestellte in § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG. Danach ist leitender Angestellter, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist. Bei der LAG-Entscheidung geht es um die Frage, wann eine „unternehmerische Aufgabenstellung“ vorliegt. Es reicht nicht jede Einstellungs- und Entlassungsbefugnis aus. Eine unternehmerische Personalverantwortung liegt nur dann vor, wenn die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis gerade für ein für das Unternehmen qualitativ bedeutsamen Personenkreis besteht.

Filialleiter sind nicht automatisch leitende Angestellte, entscheidend bleibt, ob die Personalkompetenz den Gesamtbetrieb maßgeblich prägt

Die Ausgangslage

Eine Filialdirektorin eines deutschland­weit tätigen Modehändlers war innerhalb „ihrer“ Filiale für rund 91 Beschäftigte zuständig – einschließlich der Befugnis, eigenständig Einstellungen auszusprechen und Kündigungen zu erklären. Der Arbeitgeber stufte sie deshalb als „leitende Angestellte“ ein. Dagegen wehrte sich der Betriebsrat und rief zunächst das Arbeitsgericht Frankfurt a. M. und anschließend das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) an. Beide Instanzen gaben dem Betriebsrat recht.

Warum die Einordnung so wichtig ist

Die Frage, ob jemand leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG ist, entscheidet darüber, ob Mitbestimmungs- und Schutzrechte nach dem Betriebs­verfassungs­gesetz greifen. Leitende Angestellte sind – kurz gesagt – „Arbeitgeber im Arbeitgeber“, vertreten diesen gegenüber dem Betriebsrat und unterliegen deshalb nicht der regulären Arbeitnehmer­vertretung. Für Betroffene bedeutet das einen Verlust an betriebs­verfassungs­rechtlichem Schutz; für Unternehmen eröffnet es Spielräume, den Betriebsrat außen vor zu lassen. Daher wird in der Praxis häufig um den Status gestritten.

Das Urteil des LAG Hessen

Das LAG stellte klar, dass allein die Weisungsbefugnis „Hire and Fire“ nicht genügt, wenn sich diese Befugnis nur auf einen zahlen- und bedeutungs­mäßig kleinen Teil der Gesamtbelegschaft bezieht. Bei 3.500 Beschäftigten im Konzern sind 91 Mitarbeitende keine unternehmerisch relevante Größe. Folglich bleibe die Filialdirektorin normale Arbeitnehmerin; der Betriebsrat könne seine Rechte auch in ihrer Filiale vollumfänglich ausüben. 

Die Begründung des Gerichts

Stützt man sich auf § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG und die Rechtsprechung des Bundes­arbeits­gerichts (u. a. BAG 25.03.2009 – 7 ABR 2/08), müsse sich die Einstellungs- und Entlassungs­befugnis qualitativ oder quantitativ „unternehmerisch deutlich“ auswirken. Dies ist nur der Fall, wenn entweder eine hohe Zahl von Beschäftigten betroffen ist oder es sich um hoch­qualifizierte Schlüsselkräfte handelt. Beides fehlte hier: Die nachgeordneten „Manager“ kümmerten sich überwiegend um Waren­eingangs-, Präsentations- und Serviceabläufe nach strikten Konzernvorgaben; echte strategische Entscheidungsspielräume bestanden nicht. 

Statusfragen sorgfältig prüfen: Betriebsrats­anhörungen, Kündigungs­schutz, Wahl­berechtigung und weitere Beteiligungsrechte sind betroffen

Filiale als selbstständiger Betrieb – und doch nicht genug

Zwar erkannte das LAG die Filiale als eigenständigen Betrieb gemäß § 1 BetrVG an. Doch selbst bei voller Personalhoheit innerhalb des Betriebs verlangte es eine „hinreichende unternehmerische Gewichtung“ der Personalkompetenz. Weil wesentliche Steuerung – Sortiments­auswahl, Platzierung, Umsatzkennziffern – zentral vorgegeben wurde, fehlte es an dem für leitende Angestellte typischen Einfluss auf die Unternehmensführung.

Folgen für die Praxis

  • Einzelhandels- und Filialbetriebe können sich nicht darauf berufen, dass ihre Filialleiter automatisch leitende Angestellte sind.
  • Entscheidend bleibt, ob die Personalkompetenz den Gesamtbetrieb maßgeblich prägt oder ob qualitative Schlüsselpositionen betroffen sind.
  • Eine falsche Einordnung kann teuer werden: Betriebsrats­anhörungen, Kündigungs­schutz, Wahl­berechtigung und weitere Beteiligungsrechte stehen auf dem Spiel. Arbeitgeber sollten Statusfragen daher sorgfältig prüfen und dokumentieren.
Kein leitender Angestellter ohne Einfluss auf wesentliche Unternehmens­bereiche oder strategischen Handlungsspielraum

Fazit

Das Hessische LAG knüpft den Status des leitenden Angestellten weiterhin an hohe, unternehmerisch ausgerichtete Anforderungen. Wer „nur“ eine Filiale führt, ohne strategischen Handlungsspielraum oder Einfluss auf wesentliche Unternehmens­bereiche, bleibt – trotz eigenständiger Kündigungs- und Einstellungsbefugnis – regulärer Arbeitnehmer. Das letzte Wort hat nun das BAG (anhängig unter 7 ABR 9/25); bis zu dessen Entscheidung ist Arbeitgebern zu raten, Filialleiter nicht vorschnell als leitende Angestellte einzustufen.

Rechtliche Grundlagen und weiterführende Hinweise

Hessisches Landesarbeitsgericht vom 9.12.2024 – 16 TaBV 93/24 anhängig BAG – 7 ABR 9/25

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Fachanwalt für Insolvenzrecht
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