Eine kurze Zusammenfassung
Die Entscheidung des Hessischen LAG vom 09.12.2024 ist jetzt beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 7 ABR 9/25 anhängig . Es geht um die Frage, ob es sich um einen leitenden Angestellten handelt. Für leitende Angestellte gilt das Betriebsverfassungsgesetz und das Arbeitszeitgesetz nicht. Im Kündigungsbereich gilt für leitende Angestellte Folgendes: Grundsätzlich gilt auch bei leitenden Angestellten das Kündigungsschutzgesetz. Der Arbeitgeber kann also nur kündigen, wenn die Kündigung sozial gerechtfertigt ist (§ 1 Abs. 1 KSchG, d.h. verhaltensbedingte, personenbedingte oder aber betriebsbedingte Kündigung die Kündigung rechtfertigen.
Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass bei einer Kündigungsschutzklage der Arbeitgeber jederzeit ohne weitere Begründung vom Gericht verlangen kann, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer vom Gericht festzusetzenden Abfindung aufzulösen. Über diesen sogenannte Auflösungsantrag, § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG muss dann vom Gericht entschieden werden. Der Arbeitgeber zahlt dann zwar die vom Gericht festzusetzende Abfindung, das Arbeitsverhältnis ist aber beendet.
Vor diesem Hintergrund ist also der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess sehr daran interessiert, kein leitender Angestellter zu sein. Geregelt ist der leitende Angestellte in § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BetrVG. Danach ist leitender Angestellter, wer nach Arbeitsvertrag und Stellung im Unternehmen oder im Betrieb zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt ist. Bei der LAG-Entscheidung geht es um die Frage, wann eine „unternehmerische Aufgabenstellung“ vorliegt. Es reicht nicht jede Einstellungs- und Entlassungsbefugnis aus. Eine unternehmerische Personalverantwortung liegt nur dann vor, wenn die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis gerade für ein für das Unternehmen qualitativ bedeutsamen Personenkreis besteht.

Filialleiter sind nicht automatisch leitende Angestellte, entscheidend bleibt, ob die Personalkompetenz den Gesamtbetrieb maßgeblich prägt
Die Ausgangslage
Eine Filialdirektorin eines deutschlandweit tätigen Modehändlers war innerhalb „ihrer“ Filiale für rund 91 Beschäftigte zuständig – einschließlich der Befugnis, eigenständig Einstellungen auszusprechen und Kündigungen zu erklären. Der Arbeitgeber stufte sie deshalb als „leitende Angestellte“ ein. Dagegen wehrte sich der Betriebsrat und rief zunächst das Arbeitsgericht Frankfurt a. M. und anschließend das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) an. Beide Instanzen gaben dem Betriebsrat recht.
Warum die Einordnung so wichtig ist
Die Frage, ob jemand leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG ist, entscheidet darüber, ob Mitbestimmungs- und Schutzrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz greifen. Leitende Angestellte sind – kurz gesagt – „Arbeitgeber im Arbeitgeber“, vertreten diesen gegenüber dem Betriebsrat und unterliegen deshalb nicht der regulären Arbeitnehmervertretung. Für Betroffene bedeutet das einen Verlust an betriebsverfassungsrechtlichem Schutz; für Unternehmen eröffnet es Spielräume, den Betriebsrat außen vor zu lassen. Daher wird in der Praxis häufig um den Status gestritten.
Das Urteil des LAG Hessen
Das LAG stellte klar, dass allein die Weisungsbefugnis „Hire and Fire“ nicht genügt, wenn sich diese Befugnis nur auf einen zahlen- und bedeutungsmäßig kleinen Teil der Gesamtbelegschaft bezieht. Bei 3.500 Beschäftigten im Konzern sind 91 Mitarbeitende keine unternehmerisch relevante Größe. Folglich bleibe die Filialdirektorin normale Arbeitnehmerin; der Betriebsrat könne seine Rechte auch in ihrer Filiale vollumfänglich ausüben.
Die Begründung des Gerichts
Stützt man sich auf § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (u. a. BAG 25.03.2009 – 7 ABR 2/08), müsse sich die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis qualitativ oder quantitativ „unternehmerisch deutlich“ auswirken. Dies ist nur der Fall, wenn entweder eine hohe Zahl von Beschäftigten betroffen ist oder es sich um hochqualifizierte Schlüsselkräfte handelt. Beides fehlte hier: Die nachgeordneten „Manager“ kümmerten sich überwiegend um Wareneingangs-, Präsentations- und Serviceabläufe nach strikten Konzernvorgaben; echte strategische Entscheidungsspielräume bestanden nicht.

Statusfragen sorgfältig prüfen: Betriebsratsanhörungen, Kündigungsschutz, Wahlberechtigung und weitere Beteiligungsrechte sind betroffen
Filiale als selbstständiger Betrieb – und doch nicht genug
Zwar erkannte das LAG die Filiale als eigenständigen Betrieb gemäß § 1 BetrVG an. Doch selbst bei voller Personalhoheit innerhalb des Betriebs verlangte es eine „hinreichende unternehmerische Gewichtung“ der Personalkompetenz. Weil wesentliche Steuerung – Sortimentsauswahl, Platzierung, Umsatzkennziffern – zentral vorgegeben wurde, fehlte es an dem für leitende Angestellte typischen Einfluss auf die Unternehmensführung.
Folgen für die Praxis
- Einzelhandels- und Filialbetriebe können sich nicht darauf berufen, dass ihre Filialleiter automatisch leitende Angestellte sind.
- Entscheidend bleibt, ob die Personalkompetenz den Gesamtbetrieb maßgeblich prägt oder ob qualitative Schlüsselpositionen betroffen sind.
- Eine falsche Einordnung kann teuer werden: Betriebsratsanhörungen, Kündigungsschutz, Wahlberechtigung und weitere Beteiligungsrechte stehen auf dem Spiel. Arbeitgeber sollten Statusfragen daher sorgfältig prüfen und dokumentieren.

Kein leitender Angestellter ohne Einfluss auf wesentliche Unternehmensbereiche oder strategischen Handlungsspielraum
Fazit
Das Hessische LAG knüpft den Status des leitenden Angestellten weiterhin an hohe, unternehmerisch ausgerichtete Anforderungen. Wer „nur“ eine Filiale führt, ohne strategischen Handlungsspielraum oder Einfluss auf wesentliche Unternehmensbereiche, bleibt – trotz eigenständiger Kündigungs- und Einstellungsbefugnis – regulärer Arbeitnehmer. Das letzte Wort hat nun das BAG (anhängig unter 7 ABR 9/25); bis zu dessen Entscheidung ist Arbeitgebern zu raten, Filialleiter nicht vorschnell als leitende Angestellte einzustufen.
Rechtliche Grundlagen und weiterführende Hinweise
- Volltext des Beschlusses LAG Hessen, 09.12.2024 – 16 TaBV 93/24
- Überblick über die BAG-Leitentscheidung 25.03.2009 – 7 ABR 2/08
- Hintergrund zu § 5 BetrVG
Hessisches Landesarbeitsgericht vom 9.12.2024 – 16 TaBV 93/24 anhängig BAG – 7 ABR 9/25
Ihr Ansprechpartner für dieses Thema:

Rechtsanwalt
Dr. Dirk Habe
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht