Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat in einem Beschluss vom 10. September 2024 (Az.: 6 UF 144/24) entschieden,
dass die alleinige elterliche Sorge auf die Kindesmutter übertragen werden kann, wenn häusliche Gewalt des Vaters gegen die Mutter vorliegt und diese Gewalt von den Kindern miterlebt wurde. Die Entscheidung stützt sich auf die Bestimmungen des § 1671 BGB, der eine Übertragung der alleinigen Sorge auf einen Elternteil unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, insbesondere wenn dies dem Wohl der Kinder dient.
Sachverhalt
Im zugrunde liegenden Fall ging es um zwei Kinder im Alter von fünf und neun Jahren, die nach der Trennung ihrer Eltern im Herbst 2020 bei der Mutter lebten. Gegen den Kindesvater wurden wiederholt Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz verhängt, darunter Näherungs- und Kontaktverbote. Anlass waren massive Übergriffe auf die Mutter, die im Beisein der Kinder stattfanden. Unter anderem hatte der Vater die Mutter körperlich angegriffen, bedroht und ihr mit dem Tod gedroht. Diese Gewalt führte zu einer erheblichen Belastung der Kinder, die die Vorfälle direkt miterlebten.
Wenn Kinder fälle von häuslicher Gewalt miterleben, führt das zu einer erheblichen Belastung
Begründung des Gerichts
Das OLG stellte fest, dass eine gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge im vorliegenden Fall nicht möglich war, da eine tragfähige Kommunikation zwischen den Eltern aufgrund des Verhaltens des Vaters ausgeschlossen sei. Das Gericht betonte folgende zentrale Aspekte:
- Häusliche Gewalt und Kindeswohl: Gewalt, die ein Kind gegen seine Mutter miterlebt, gilt als eine Form der Kindesmisshandlung. Die wiederholten Drohungen und körperlichen Angriffe durch den Vater stellten ein erhebliches Risiko für die kindliche Entwicklung dar.
- Kooperationsfähigkeit der Eltern: Eine gemeinsame Sorge setzt die Fähigkeit und Bereitschaft beider Elternteile zur Kooperation voraus. Der Vater zeigte sich jedoch unfähig, sachlich mit der Mutter zu kommunizieren. Sein impulsives und aggressives Verhalten, gekoppelt mit mangelndem Problembewusstsein, machte eine Zusammenarbeit unmöglich.
- Berücksichtigung der Wünsche der Kinder: Die Kinder hatten sich klar für eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter ausgesprochen. Ihr Wunsch wurde aufgrund der erlebten Gewalt und der psychischen Belastung als Ausdruck ihres Kindeswohls gewertet.
Rechtliche Würdigung
Nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann einem Elternteil das alleinige Sorgerecht übertragen werden, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Fortführung der gemeinsamen Sorge nicht nur das Kindeswohl gefährden, sondern auch die Mutter als Opfer häuslicher Gewalt unzumutbar belasten würde. Zudem verwies das OLG auf die Istanbul-Konvention, die die Berücksichtigung der Situation der Mutter als Gewaltopfer ausdrücklich fordert.
Erziehungsfähigkeit der Mutter
Die Kindesmutter wurde vom Gericht als erziehungsfähig und förderbereit angesehen. Sie hatte trotz der schwierigen Umstände den Umgang des Vaters mit den Kindern ermöglicht und sich kooperationsbereit gezeigt. Eine Teilregelung des Sorgerechts wurde abgelehnt, da sie den bestehenden Konflikt lediglich verlängern würde.
Häusliche Gewalt: Nicht nur der Schutz des betroffenen Elternteils, sondern auch das Wohl der Kinder im Vordergrund
Entscheidung
Die Beschwerde des Kindesvaters gegen die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Mutter wurde zurückgewiesen. Das Gericht sah die Maßnahme als verhältnismäßig an, da keine milderen Mittel zum Schutz des Kindeswohls zur Verfügung standen.
Fazit
Das Urteil des OLG Frankfurt unterstreicht, dass bei häuslicher Gewalt nicht nur die Sicherheit des betroffenen Elternteils, sondern auch das Wohl der Kinder im Vordergrund stehen muss. Eine Übertragung des alleinigen Sorgerechts kann in solchen Fällen notwendig sein, um eine stabile und sichere Erziehungsumgebung zu gewährleisten.
OLG Frankfurt am 10. September 2024, Az.: 6 UF 144/24
Ihr Ansprechpartner für dieses Thema:
Rechtsanwältin
Inge Saathoff
Fachanwältin für Familienrecht
Rechtsanwalt
Burkhard Bühre
Fachanwalt für Familienrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht
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